Antiprotonen in Superflüssigkeit
Antiprotonisches Heliumatom im superflüssigen Zustand, das in flüssigem Helium schwebt. Das Antiproton ist durch die Elektronenhülle des Heliumatoms geschützt und vermeidet so den sofortigen Zerfall. | © Abbildung: Christoph Hohmann (LMU München / MCQST)

Antiprotonen in Superflüssigkeit

Ein neuer Weg für hochsensitive Messungen an Antimaterie

1. April 2022 | von Max-Planck-Institut für Quantenoptik

Ein Team von Wissenschaftlern am CERN unter der Leitung des Max-Planck-Physikers Masaki Hori hat bei hybriden Atomen aus Antimaterie und Materie ein überraschendes Verhalten entdeckt, wenn diese in supraflüssiges Helium eingetaucht werden. Das Ergebnis könnte einen neuen Weg eröffnen, um mit Antimaterie die Eigenschaften von kondensierter Materie zu untersuchen – oder um Antimaterie in kosmischer Strahlung aufzuspüren.

Wenn sie einen Blick in die Schattenwelt der Antimaterie werfen wollen, müssen die Forscher auf ausgeklügelte technische Tricks zurückgreifen. Sie sollen verhindern, dass die Antimaterieproben mit der uns umgebenden normalen Materie in Kontakt kommen. Diese Isolierung ist von entscheidender Bedeutung, da sich Antimaterie und Materie bei einem Kontakt miteinander sofort gegenseitig zerstören. Trotzdem schafften es WissenschaftlerInnen in einem internationalen Team unter Federführung des Garchinger Max-Planck-Instituts für Quantenoptik (MPQ), Materie und Antimaterie zu exotischen, hybriden Atomen aus Helium zu kombinieren, die für kurze Zeit stabil bleiben. Nun haben die ForscherInnen aus Italien, Ungarn und Deutschland überdies eine Möglichkeit entdeckt, die so gebundenen Antiteilchen sehr genau spektroskopisch zu untersuchen.

Bei ihren Experimenten am Europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf tauchten sie die bizarren atomaren Gebilde in flüssiges Helium und kühlten dieses bis auf Temperaturen nahe beim absoluten Nullpunkt ab – wo das Helium in einen sogenannten superfluiden Zustand übergeht. Die Ergebnisse des Experiments waren für die WissenschaftlerInnen besonders überraschend, weil die hybriden Antimaterie-Materie-Atome trotz ihrer dichten, flüssigen Umgebung sehr empfindlich und genau auf das Laserlicht reagiert haben.

„Spannend sind Experimente an Antimaterie vor allem im Hinblick auf fundamentale Gesetzmäßigkeiten der Physik“, sagt Prof. Masaki Hori, der Leiter des Teams. So verlangt das Standardmodell der Teilchenphysik – die Grundlage des heutigen Verständnisses der Wissenschaftler vom Aufbau des Universums und den darin wirkenden Kräften, dass sich Teilchen und ihre Antiteilchen lediglich im Vorzeichen ihrer elektrischen Ladung unterscheiden. So trägt ein Antiproton – das Gegenstück zum positiv geladenen Proton, einem Baustein von Atomkernen, – eine negative Ladung. Nach dem Standardmodell der Physik sind die anderen Eigenschaften identisch. „In unseren bisherigen Experimenten haben wir keinen Hinweis darauf gefunden, dass sich die Massen von Protonen und Antiprotonen auch nur im Geringsten unterscheiden“, berichtet Hori. „Wenn ein solcher Unterschied, wie gering er auch sein mag, nachgewiesen werden könnte, würde das die Grundlagen unseres derzeitigen Weltbildes erschüttern.“

Forschungsleiter Masaki Hori (MPQ), am sogenannten ASACUSA Experiment in CERN. Foto: CERN

Elektron raus, Antiproton rein

Um die exotischen Heliumatome mit darin enthaltenen Antiprotonen zu erzeugen, nutzten die Forscher den Antiprotonen-Entschleuniger am CERN – eine weltweit einzigartige Anlage, die es ermöglicht, die Antimaterieteilchen, die bei Zusammenstößen von energiereichen Protonen entstehen, abzubremsen. Die langsame Geschwindigkeit der Antiprotonen macht sie ideal nutzbar für Experimente wie die des Teams um Masaki Hori. Die ForscherInnen mischten die langsamen Antiprotonen mit flüssigem Helium, das sie auf Temperaturen von wenigen Grad über dem absoluten Nullpunkt bei minus 273 Grad Celsius abkühlten. Dabei fingen Atome des Heliums einen kleinen Teil der Antiprotonen ein. Jedes eingefangene Antiproton ersetzte eines der beiden Elektronen, die normalerweise einen Helium-Atomkern umgeben – und formten so ein Gebilde, das lange genug stabil blieb, um es spektroskopisch zu untersuchen.

„Bisher dachte man, dass sich Antimaterie-Atome, die in Flüssigkeiten eingebettet sind, nicht durch hochauflösende Spektroskopie mit Laserstrahlen untersuchen lassen“, berichtet Hori. Denn die im Vergleich etwa zu einem Gas intensiven Wechselwirkungen zwischen den dicht gepackten Atomen oder Molekülen der Flüssigkeit führen zu einer starken Verbreiterung der Spektrallinien. Diese Linien sind Abbilder von Resonanzen, bei denen Energie aus dem Laserstrahl zur Anregung bestimmter atomarer Zustände aufgenommen wird. Sie sind damit eine Art Fingerabdruck jedes atomaren Teilchens. Ihre genaue Lage auf der Frequenzskala sowie ihre Form verraten den ForscherInnen aufschlussreiche Details über die Eigenschaften der untersuchten Atome – und die Kräfte, die auf die Antiteilchen wirken. Doch durch die Verbreiterung der Linien werden diese Informationen überdeckt, weil quasi verschmiert. Hori und seinem Team gelang es nun erstmals, das „Verschmieren“ der Spektrallinien in einer Flüssigkeit zu unterbinden.