Langlebiges pionisches Helium
Künstlerische Darstellung eines pionischen Heliumatoms angeregt von einem Laserstrahl.  | © Thorsten Naeser, Dennis Luck, MPQ

Langlebiges pionisches Helium

Exotische Materie erstmals experimentell nachgewiesen

12. Mai 2020

Exotische Atome, in denen Elektronen durch andere subatomare Teilchen gleicher Ladung ersetzt werden, ermöglichen tiefe Einblicke in die Quantenwelt. Nach acht Jahren gelang einer Gruppe um Masaki Hori, leitender Physiker am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching, nun ein äußerst schwieriges Experiment: Sie ersetzte in einem Heliumatom ein Elektron durch ein Pion in einem besonderen Quantenzustand und wiesen die Existenz dieses langlebigen „pionischen Heliums“ nach. Dadurch lebte das kurzlebige Pion tausend Mal länger als sonst in Materie. Pionen gehören zu einer wichtigen Teilchenfamilie, die auch entscheidend für den Zusammenhalt oder Zerfall von Atomkernen ist. Im pionischen Heliumatom lassen sie sich nun mit Hilfe der Laserspektroskopie extrem genau untersuchen. Die Ergebnisse erscheinen heute im Fachblatt Nature.

Acht Jahre lang hat Maskai Horis Gruppe an dem herausfordernden Pionierexperiment gearbeitet, das das Potenzial hat, ein neues Forschungsfeld zu gründen. Es war ein wissenschaftlicher Marathonlauf, der durch eine internationale Kooperation zwischen dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik, dem Paul-Scherrer-Institut (PSI) in der Schweiz und CERN, dem europäischen Teilchenforschungslaboratorium, möglich wurde.

Dem Team gelang es, erstmals die Existenz von längerlebigen pionischen Heliumatomen nachzuweisen, die gewissermaßen mit Pionen „geimpft“ sind. Das Pion ersetzt eines der beiden Elektronen des Heliumatoms. „Es ist eine Art chemischer Reaktion, die ganz automatisch passiert“, erklärt Hori. Dieses exotische Atom war bereits 1964 theoretisch vorhergesagt worden, nachdem damalige Experimente Hinweise auf dessen Existenz zeigten. Es galt aber als extrem schwierig, diese Vorhersage experimentell zu beweisen. Das ohnehin schon extrem kurzlebige Pion zerfällt im Atom normalerweise noch schneller als sonst. Doch im pionischen Helium kann es gewissermaßen konserviert werden und lebt dadurch tausend Mal länger als sonst in anderen Atomen.

Trümmerteile des Atomkerns als rauchender Colt

Die Herausforderung für das Team war, die tatsächliche Existenz eines solchen pionischen Heliums im Tank ihres Experiments, der mit extrem kaltem, suprafluidem Helium gefüllt war, nachzuweisen. Im Heliumatom verhält sich das Pion wie ein schweres Elektron. Es kann nur zwischen diskreten Quantenzuständen springen, wie zwischen Leiterstufen. Für den Nachweis musste die Gruppe einen langlebigen Zustand und einen speziellen Quantensprung finden, den sie mit einem Laser anregen und so das Pion in den Kern des Heliumatoms befördern konnte. Dieser Vorgang zerstört den Kern des Atoms, als Nachweis des Pions dienen dann die Trümmerteile des Atomkerns als eine Art „rauchender Colt“ (Abbildung). Allerdings konnten die Theoretiker nicht genau vorhersagen, bei welcher Lichtwellenlänge dieser entscheidende Quantensprung passieren würde. Also musste das Team drei komplexe Lasersysteme nacheinander aufbauen, bis es erfolgreich war.

Von links nach rechts: Ein Pion (p) trifft auf ein Heliumatom und ersetzt eines seiner beiden Elektronen. Das Ergebnis ist ein pionisches Heliumatom (pHe+), in dem das Pion in bestimmten Quantenzuständen tausendmal länger lebt als in anderen Arten von pionischen Atomen. Der entscheidende Punkt im Experiment war der Nachweis der Existenz eines solchen Atoms. Für diesen Beweis veranlasst ein resonanter Laserstrahl das Pion, von seiner Quantenbahn in eine andere Bahn zu springen, die zu seiner Absorption durch den Heliumkern führt. Dies bewirkt, dass der Kern zerbricht und dessen Bruchstücke nachgewiesen werden können. Illustration: Masaki Hori, MPQ

„Dieser Erfolg macht Pionen erstmals den Methoden der Quantenoptik zugänglich“, freut sich Hori. Dazu gehört die Laserspektroskopie, eines der präzisesten Werkzeuge der Physik überhaupt. Das Experiment eröffnet also die Möglichkeit, das Pion in diesen Quantenzuständen wesentlich genauer zu untersuchen, als dies bislang möglich war.

Neues Fenster in den Quantenkosmos

Das Pion gehören zur Teilchenfamilie der sogenannten Mesonen. Diese vermitteln auch die Kernkraft zwischen den Bausteinen der Atomkerne, den Neutronen und Protonen. Obwohl die elektrisch gleich geladenen Protonen sich heftig gegenseitig abstoßen, klammert die stärkere Kernkraft sie zum Atomkern zusammen. Ohne diese Kraft würde also unsere Welt nicht existieren. Von den Protonen und Neutronen, die jeweils aus drei Quarks aufgebaut sind, unterscheiden sich die Mesonen zudem grundsätzlich, denn sie bestehen aus zwei Quarks.

Diesen experimentellen Apparat benutzten die Wissenschaftler, um pionische Heliumatome zu detektieren. Pionen gelangen von rechts in das Gerät, der Laserstrahl von links. Foto: Masaki Hori, MPQ

Das Experiment nutzte die stärkste Pionenquelle der Welt, die am PSI steht. Da das Risiko eines Scheiterns sehr hoch war und es auch mehrere Fehlschläge gab, benötigte die Gruppe eine langfristige Unterstützung durch das PSI und die Max-Planck-Gesellschaft (MPG). Das PSI stellte auch von anderen Forschungsgruppen begehrte Strahlzeit mit Pionen zur Verfügung, und die MPG sorgte für ein Umfeld, das langfristig orientierte Forschung ermöglicht. Finanziert wurde das Projekt vom Europäischen Forschungsrat durch einen ERC-Grant.

Dr. Hori hofft nun, dass er mit dem gelungenen Experiment ein neues Fenster in den Quantenkosmos der Teilchen und Kräfte öffnen konnte.

 

Originalveröffentlichung

Hori, M., Aghai-Khozani, H., Sótér, A. et al.
Laser spectroscopy of pionic helium atoms
Nature 581, 37–41 (2020).

doi.org/10.1038/s41586-020-2240-x

 

Kontakt

Dr. Masaki Hori
Forschungsgruppenleiter
Max-Planck-Institut für Quantenoptik
Hans-Kopfermann-Str. 1
85748 Garching
Tel: +49 89 3 29 05 - 268
E-Mail: masaki.hori@mpq.mpg.de

Katharina Jarrah
Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Quantenoptik
Hans-Kopfermann-Str. 1
85748 Garching
Tel: +49 89 32905 213
E-Mail: katharina.jarrah@mpq.mpg