Schweben im Ionenwind
© Christine Y. He, MIT

Schweben im Ionenwind

21. Januar 2019

Magie scheint im Spiel zu sein: Ein Flugzeug schwebt ganz ohne beweglichen Antrieb durch die Luft — und das nahezu lautlos. Was wie von Zauberhand wirkt, haben geladene Teilchen zu verantworten. Dass das so genannte „Ionocraft“ wirklich fliegt, haben Wissenschaftlern am Massachusetts Institute of Technology (MIT) nun bewiesen. Mit Hilfe von Ionen haben die Forscher möglicherweise eine neue Ära des Fliegens eingeläutet.

Das Ionocraft basiert auf Prinzipien der Elektroaerodynamik. Denn hinter dem Antrieb steckt eine starke elektrische Spannung. Sie wird zwischen zwei Drähten erzeugt, die jeweils an der Vorder- und Rückseite der Flügel befestigt sind. Diese Drähte dienen als Elektroden, wie Plus- und Minuspol bei Batterien. Der vordere, dünnere Draht (die Anode) erzeugt elektrisch geladene Moleküle, auch Ionen genannt. Diese werden zum hinteren, dickeren Draht (der Kathode) beschleunigt.

Verantwortlich dafür ist die sogenannte Coulombkraft. Während ihres Fluges von Anode zu Kathode kollidieren die Ionen mit neutralen Luftmolekülen. Diese werden von den Ionen angeschoben und erzeugen so einen Luftstrom. Der resultierende Ionenwind schafft den Auftrieb, der das Flugzeug in der Luft hält. Der Prozess ist nahezu geräuschlos und emissionsfrei.

Fluggeräte, die auf diesem Konzept basieren, werden „Lifter“ oder „Ionocrafts“ genannt. Die Idee gibt es schon länger. Allerdings ging man bisher davon aus, dass der Ionenantrieb bei freifliegenden Luftfahrzeugen nicht realisierbar war. Wissenschaftler am MIT in Cambridge, USA, ist es nun gelungen, ein Flugzeug zu entwickeln, das dieses Konzept verwirklicht.

Es hat eine Flügelspannweite von fünf Metern und wiegt 2,45 Kilogramm. Angetrieben wird es von 40.000 Volt — im Vergleich: Taschenlampen haben eine Spannung von 1,5, Autobatterien 12 und Steckdosen 220 Volt. Um den Auftrieb zu verstärken, verfügt es nicht über nur zwei Drähte, sondern gleich einen ganzen Maschenzaun. Zwar konnte das Flugzeug mit dem Ionenwind nicht starten, sich aber selbständig für zwölf Sekunden in der Luft halten. Ganze 55 Meter flog es mithilfe des erzeugten Ionenwinds. Ohne ihn hielt es sich im Vergleich nur für wenige Meter in der Luft.

Bild: MIT Electric Aircraft Initiative

Das klingt vielleicht nicht besonders eindrucksvoll, aber die Wissenschaftler haben bewiesen, dass ein Ionenantrieb möglich ist. Man muss bedenken, dass der erste Motorflug der Gebrüder Wright im Jahr 1903 ebenfalls nur zwölf Sekunden dauerte, in denen weniger als 40 Meter zurückgelegt wurden.

Wie konventionelle Flugzeuge benutzte das MIT-Modell noch mechanische Höhen- und Steuerruder. Allerdings hoffen die Forscher, dass in der Zukunft elektroaerodynamische Flugzeuge ganz ohne bewegliche Kontrolloberflächen auskommen können. Dann würden komplett statische Objekte sanft durch die Lüfte schweben — so wie in Science-Fiction Filmen.

Die entscheidende Frage ist nun, ob der Ionenantrieb in der Zukunft auch zur Personenbeförderung benutzt werden kann. Ob die Technologie auch tonnenschwere Flugzeuge antreiben kann, ist noch offen. Die MIT-Wissenschaftler arbeiten nun daran, den Antrieb effizienter zu machen, sodass mehr Ionenwind mit weniger Spannung erzeugt wird. 

Vorstellbar ist aber schon jetzt, dass unbemannte Drohnen mit der Flüstertechnologie ausgestattet werden. Ebenfalls stellen die Forscher sich vor, dass der elektroaerodynamische Antrieb zukünftig in hybriden Passagierflugzeugen eingesetzt wird. Vielleicht schweben wir einem neuen — leisen und umweltneutralen — Zeitalter der Luftfahrt entgegen.

Originale Veröffentlichung

Xu, H., He, Y., Strobel, K., Gilmore, C., Kelley, S., Hennick, C., Sebastian, T., Woolston, M., Perreault, D. and Barrett, S. (2018). Flight of an aeroplane with solid-state propulsion. Nature, 563(7732), pp. 532-535, <www.nature.com/articles/s41586-018-0707-9>.