UV-Licht als Geheimsprache
Der Borstenwurm Vanadis hat Augen so groß wie Mühlsteine. Zumindest relativ gesehen. | © Fotos: Michael Bock

UV-Licht als Geheimsprache

Der Borstenwurm Vanadis hat - relativ gesehen - Augen so groß wie Mühlsteine. Doch warum? Eigentlich lebt er in völliger Dunkelheit.

25. April 2024 | von Thorsten Naeser

Warum entwickelt ein fast unsichtbarer, durchsichtiger Wurm riesige Augen? Der Borstenwurm Vanadis hat genau das über Jahrmillionen getan. Nun sind Meeresbiologen der Biologischen Fakultät der Universität Kopenhagen und der Universität Lund dem Phänomen auf den Grund gegangen. Die Forscher vermuten, dass die Meereswürmer über eine Geheimsprache verfügen, die sich des UV-Lichts bedient, das nur von ihrer eigenen Art gesehen wird. 

Der Borstenwurm Vanadis hat Augen so groß wie Mühlsteine. Zumindest relativ gesehen. Wären unsere Augen im Verhältnis so groß wie die des Wurms aus dem Mittelmeer, würden sie rund 100 Kilogramm wiegen. Die Augen des Tieres sind etwa zwanzigmal so schwer wie der Rest des Kopfes und wirken auf dem winzigen Meerestier grotesk deplatziert.

Vanadis-Borstenwürmer kommen rund um die italienische Insel Ponza, westlich von Neapel, vor. Wie einige der Sommergäste auf der Insel sind auch die Würmer nachtaktiv. Was machen diese Tiere also mit ihren Guckern, wenn es dunkel ist?

Den Neuro- und Meeresbiologe Anders Garm ließ diese Frage nicht los. Mit Michael Bok von der Universität Lund machte er sich daran, das Geheimnis zu lüften. „Unser Ziel war es, die Frage zu beantworten, ob große Augen dem Wurm ein gutes Sehvermögen verleihen“, sagt Michael Bok. Die beiden Wissenschaftler konnten zeigen, dass das Sehvermögen von Vanadis hervorragend ist. Die fanden heraus, dass der Wurm kleinste Objekte sieht und ihre Bewegungen verfolgt.

Solche Fähigkeiten sind normalerweise Wirbeltieren vorbehalten. Zusammen mit Insekten, Spinnen oder Kraken und Tintenfischen. Es ist das erste Mal, dass ein derart gutes Sehvermögen über diese Gruppen hinaus nachgewiesen wurde. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Wurm über ein hervorragendes Sehvermögen verfügt, obwohl er ein simpler Organismus mit einem winzigen Gehirn ist“, sagt Garm. „Das macht die Augen einzigartig im Tierreich“, sagt Garm weiter. Garms Forschung konzentriert sich darauf, zu verstehen, wie einfache Nervensysteme sehr komplexe Funktionen erfüllen - was hier der Fall ist.

Nun versuchen die Forscher herauszufinden, was den Wurm dazu veranlasst hat, ein so gutes Sehvermögen zu entwickeln. Die Würmer sind durchsichtig, mit Ausnahme ihrer Augen, die Licht registrieren. Sie können also nicht durchsichtig sein. Das bedeutet, dass die Würmer einen evolutionären Kompromiss eingegangen sind. Da das Sichtbarwerden durch die Augen für Vanadis mit Nachteilen verbunden ist, muss der evolutionäre Nutzen seiner Augen die Konsequenzen überwiegen.

„Niemand hat den Wurm je tagsüber gesehen. Wir wissen also nicht, wo er sich versteckt. Wir können also nicht ausschließen, dass er seine Augen auch tagsüber benutzt. Was wir wissen, ist, dass Nahrungssuche und Paarung nachts stattfinden. Es ist also wahrscheinlich, dass die Augen zu dieser Zeit wichtig sind“, sagt Anders Garm.

Eine Erklärung könnte sein, dass diese Würmer andere Wellenlängen des Lichts sehen als Menschen. Ihr Sehvermögen ist auf ultraviolettes Licht (UV) ausgerichtet, das für das menschliche Auge unsichtbar ist. Garm zufolge könnte dies darauf hindeuten, dass ihre Augen dazu dienen, biolumineszente Signale im nächtlichen Meer zu erkennen.

„Wir glauben, dass die Würmer selbst biolumineszent sind und über Licht kommunizieren. Wenn man sichtbares Licht als Biolumineszenz nutzt, besteht die Gefahr, dass man Raubtiere anlockt. Wenn der Wurm jedoch UV-Licht verwendet, bleibt er für andere Tiere unsichtbar. Unsere Vermutung ist daher, dass sie eine scharfe UV-Sicht entwickelt haben und eine geheime Sprache verwenden, die mit der Paarung zusammenhängt“, sagt Garm. „Es könnte auch sein, dass sie nach UV-biolumineszierenden Beutetieren Ausschau halten“.

Anders Garm und seine Kollegen kooperieren nun mit Robotikforschern des Maersk Mc-Kinney Møller Institute an der Universität von Süddänemark (SDU), die sich von der Biologie technologisch inspirieren lassen. Mit den Robotikexperten wollen sie verstehen, wie Tiere mit so einfachen Gehirnen all die Informationen verarbeiten, die sie mit so großen Augen sammeln. „Das deutet darauf hin, dass es in ihrem Nervensystem intelligente Wege zur Informationsverarbeitung gibt. Wenn wir diese Mechanismen mathematisch erfassen, könnten sie in Computerchips integriert und zur Steuerung von Robotern verwendet werden“, hofft Ander Garm.

Originalpublikation:

Michael J. Bok, Armando Macali, Anders Garm

High-resolution vision in pelagic polychaetes

Current Biology

VOLUME 34, ISSUE 7, PR269-R270, APRIL 08, 2024

DOI:https://doi.org/10.1016/j.cub.2024.02.055